„La Bohème“
Musik: Giacomo Puccini
Text: Giuseppe Giacosa & Luigi Illica
Spielort: Staatstheater Braunschweig
Premiere der Inszenierung am: 01.12.2018
gesehen am: 29.12.2019
Spielzeit: ca. 140 Minuten inkl. Pause
Regie: Ben Baur
Abendbesetzung:
Musikalische Leitung: Christopher Lichtenstein
Mimi: Ivi Karnezi
Musetta: Anat Edri
Rodolfo: Kwonsoo Jeon
Marcello: Zachariah N. Kariithi
Schaunard: Maximilian Krummen
Colline: Jisang Ryu
u.v.m.
Darum geht‘s
Wer einen Einblick in Inhalt und Musik der Oper erhalten möchte, dem sei folgendes Video des Schweizer Fernsehens ans Herz gelegt.
So ist’s gemacht
„[Das Publikum zu Tränen zu rühren, das] schaffen wir nur, wenn wir wie [Puccini] Orchester, Gesang, Bühne, Worte, Situation und Atmosphäre zu einer Einheit verschmelzen lassen.“ Premierendirigent Iván López Reynoso schreibt diese Worte im Programmheft zur Braunschweiger Inszenierung eines der größten Opern-Hits der Musikgeschichte. Und genau das ist es, was dieser Abend leistet. Regisseur und Bühnenbildner Ben Baur und sein Kreativteam entscheiden sich dafür, der Geschichte und der Musik ihren Raum zu lassen, nur kleine Aktualisierungen vorzunehmen. So wird die Handlung um rund 70 Jahre verlegt, vom frühen 19. Jahrhundert in das Paris der Jahrhundertwende um 1900. Ansonsten hält man sich eng an die Textvorlage: Wenn es in Regieanweisungen und Musik schneit, so schneit es auch auf der Bühne. Wenn im zweiten Bild im Pariser Ausgehviertel gefeiert wird, dann geschieht dies buchstäblich mit Pauken und Trompeten und sehr viel Glitzerkonfetti. Auffallend dabei sind sowohl die aufwendig gestalteten Bühnenbilder als auch das gekonnte Lichtkonzept (verantwortlich: Frank Kaster), das die Atmosphäre der Musik auf die Bühne überträgt und so mithilft, ein stimmiges Gesamtbild zu erzeugen. Hier wird eine Geschichte erzählt, die berührt, die mitnimmt, die zum Träumen anregt. Das Publikum zeigt sich beindruckt, und reagiert spürbar beeindruckt auf die vielfältigen optischen Reize.
Doch auch auf die Figurenzeichnung wird durchaus Wert gelegt. So verleiht Baur den Figuren durch viele Details eine vielschichtigere Persönlichkeit, als das in vielen anderen Inszenierungen des Puccini-Klassikers üblich ist. Musettas Wandlung innerhalb der Oper, bei der man erst am Schluss ihren wahren Charakter erkennt, wird glaubhaft dargestellt.
Lohnend ist im Übrigen ein Kauf des Programmheftes. Bemerkenswert viele Originalbeiträge zieren das Heft. Der leitenden Dramaturgin Valeska Stern, mit der das Braunschweiger Haus offenbar einen echten Glücksgriff getan hat, gelingt es hier in besonderer Weise, hohe Informationsdichte und angenehmen Lesefluss in ihren Beiträgen zu verbinden.
So wird gespielt
Jusang Ryu und Maximilian Krummen singen und spielen ihre Rollen durchweg solide. Zachariah N. Kariithi ist ein energischer Marcello, der die Emotionen der Figur glaubhaft macht und seine Rolle insgesamt wirklich gut ausfüllt. Anat Edri überzeugt als Musetta mit dem für die Partie nötigen Ausdruck. Ivi Karnezi und Kwonsoo Jeon sind ein prima harmonierendes Protagonistenpaar. Beide gestalten ihre Rollen intensiv, besonders deutlich wird dies im letzten Bild, in dem sie die Tragik des Geschehens deutlich spüren lassen. Außerdem meistert Kwonsoo Jeon auch die sehr hohen Tenor-Passagen mit treffsicherer, warmer Stimme.
Die Solisten, die gut vorbereiteten Chöre und das an diesem Abend auf den Punkt spielende Orchester zusammenzuhalten, das ist Aufgabe des Dirigenten Christopher Lichtenstein. Und das gelingt ihm: Er lässt das Orchester Feinheiten und kraftvolle Momente betonen, ohne in Extreme zu verfallen, die Sänger werden nicht totmusiziert, sondern vom Orchester getragen, und wenn alle auf der Bühne gemeinsam singen, kommt ein sehr ausgewogener Klang dabei heraus. So soll es sein!
Fazit
Musikalisch eine durchweg gelungene Aufführung: Keine Leistung sticht extrem heraus, dafür erlebt man ein sehr stimmiges Gesamtbild und damit eine wirklich gute Ensembleleistung. Inszenatorisch handelt es sich definitiv um einen großen Wurf, dem es mit Respekt vor dem Ursprungswerk gelingt, maximale Emotion zu erzeugen, indem Bühne und Musik ein großes, atmosphärisches Ganzes ergeben. Im letzten Bild etliche ergriffene Schnieflaute, danach lang anhaltender Applaus eines hoch zufriedenen Braunschweiger Publikums im leider nicht ganz ausverkauften Haus. Dieser Inszenierung ist ein langes Leben zu wünschen, sie hat das Zeug zum Klassiker im positivsten Sinne!
Wertung: ✱✱✱✱✱✱✱✱✱
9 von 10 Sternen!
Weitere Aufführung: 26. Januar 2020
Herzlichen Dank dem Staatstheater Braunschweig für die Bereitstellung von Pressefotos.