„Les Contes d‘Hoffmann“
Musik: Jacques Offenbach
Text: Jules Barbier
Spielort: Deutsche Oper Berlin
Berliner Premiere der Inszenierung am: 01.12.2018
Aufführungsdauer: ca. 240 Minuten inkl. zwei Pausen
Regie: Laurent Pelly
Abendbesetzung:
Musikalische Leitung: Enrique Mazzola
Hoffmann: Daniel Johansson
Stella / Olympia / Antonia / Giulietta: Cristina Pasaroiu
Lindorf / Coppelius / Miracle / Dapertutto: Alex Esposito
La Muse / Nicklausse: Irene Roberts
Andres / Cochenille / Franz / Pitichinaccio: Gideon Poppe
Darum geht‘s
Die Erzählungen des E.T.A. Hoffmann sind unverzichtbare Bestandteile der deutschen Literaturgeschichte. Insbesondere die Novelle „Der Sandmann“ wird nach wie vor breit in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen rezipiert. In der Oper steht Hoffmann selbst im Mittelpunkt: Er hat Liebeskummer und erzählt daher seinen Trinkbrüdern in der Kneipe von seinen verflossenen Lieben. Was Realität ist, was Dichtung, verschwimmt. Jede einzelne der Erzählungen hat mysteriöse, kaum glaubliche Elemente, und doch gibt man sich ihnen gern hin. Hoffmanns Begleiter durch die verschiedenen Geschichten: die Literaturmuse, getarnt als guter Freund Nicklausse, und Hoffmanns Gegenspieler Lindorf, der im Laufe der Erzählungen immer teuflischere Züge annimmt. Wird Hoffmann am Ende in der Realität doch noch die Liebe finden? Oder kann sein einziger Trost nur die Poesie sein, die ihn unsterblich machen wird?
So ist’s gemacht
Diese Oper könnte langweilig sein. Ja, richtig gehört. Langweilig. Die Geschichtchen sind ganz nett, aber ohne ordentliche Dramaturgie (es gibt verschiedene Stückfassungen, da Offenbach selbst das Werk nie vollenden konnte) können sie am Ende verflachen und als bloße Steigbügelhalter für drei Stunden Musik herhalten.
Gut, dass Dramaturgie und Inszenierung diesen Fehler nicht begehen. Sie spannen einen gelungenen Bogen durch das Werk, halten sich an die heute wissenschaftlich am ehesten angenommene Werkfassung und sorgen außerdem dafür, dass das Mysteriöse, Dunkle, das immer wieder in die Normalität der dargestellten Welt eingreift, seinen Platz bekommt. Chantal Thomas‘ Bühne ist geprägt von großen, flexibel einsetzbaren Elementen, die je nach Szenenanforderung mal hier, mal dort platziert werden können. So wird ein normales Treppenhaus zum undurchdringbaren Rätsel, bewegt sich ein Ballsaal mit und gegensätzlich zu den Menschen in ihm, erscheint ein kleines physikalisches Labor plötzlich als weit geöffneter Raum. Klug sind diese inszenatorischen und bühnenbildtechnischen Kniffe, klug aber auch die anderen Ideen, die Laurent Pelly einbringt:
Der Spannungsbogen funktioniert nämlich nicht nur in den einzelnen Akten beziehungsweise Geschichten hervorragend, er umspannt auch den gesamten Abend vorzüglich: Erscheint die Olympia-Episode noch als ein nettes, unterhaltsames Kabinettstückchen, wird die Sachlage bei Antonia schon deutlich mysteriöser, abgründiger. In der Giulietta-Episode hingegen bricht sich der Druck, der bisher nach innen ging, nach außen Bahn: Gewalt wird angewendet. Der Kampf vor dem Scheitern, vor dem Nichts, das Hoffmann im letzten Akt auf sich zukommen sieht, eigentlich doch nur einen Schritt von der Apotheose entfernt, ist der Höhepunkt dieser Entwicklung.
Eine Inszenierung, die mit gedeckten Farben zunächst unspektakulär daher kommt, aber dann doch durch eine gekonnte Mischung aus traditionellen und modernen Regiemitteln sowie durch gekonnte Psychologisierung der Handlung der Oper die nötige Tiefe gibt und doch den Unterhaltungswert nicht mindert.
So wird gespielt
Die HauptdarstellerInnen des Abends haben viel zu tun, kommen sie doch in allen fünf Akten vor, teilweise in unterschiedlichen Rollen. Gideon Poppe liefert eine ordentliche Darstellung ohne stimmlichen Glanz, aber mit viel solidem Schauspiel und Gesang, der seinen Rollen in dieser Oper durchweg würdig ist. Dass dieser Tenor, der an anderen Opernhäusern sicherlich eher die Hauptrollen spielen würde, hier eine Nebenrolle übernimmt, spricht nicht gegen ihn, sondern für die Qualität des restlichen Casts.
Irene Roberts spielt einen überzeugende Nicklausse und eine recht betörende Muse, kommt hier und da stimmlich leicht an Grenzen, überzeugt aber immer dann, wenn es sein muss. Auch Daniel Johansson ist die stimmliche Belastung streckenweise etwas anzuhören, dafür bringt er das stimmliche Leid mit, das Hoffmann so quält.
Cristina Pasaroiu wird ihr Auftritt bei dieser Premiere an der Deutschen Oper sicher einen weiteren Karriereschub geben – verdient wäre das allemal. Wie sie die vier so unterschiedlichen Frauenfiguren porträtiert, ist aller Ehren wert. Jeder Figur vermag sie stimmlich wie körperlich eine eigene Persönlichkeit zu geben. Auffällig: das hohe Vibrato in ihrer Stimme sowie die ausdrucksstarke Kraft ihres Gesangs allgemein und ihrer Koloraturen im Speziellen. Das auch noch durch die Luft schwebend und auf Inlinern durch die Gegend flitzend zu leisten – wie bei der Darstellung der Olympia notwendig – erfordert Kraft und Können. Beides hat Pasaroiu und beides wird ihren Stern am Opernhimmel sicher deutlich heller strahlen lassen als bisher schon. Mit so einer Performance wird ein Newcomer zum Dauergast an der Spitze der Opernwelt.
Ebendort ist Alex Esposito schon angekommen. Der italienische Bass zeigt an diesem Abend auch ganz genau, warum er da hingehört. Kraftvoll bis in die Haarspitzen, mit stimmlicher Genauigkeit von feinem Zischen bis hin zu dröhnender Drohung, dazu mit einer Bühnenpräsenz, von der andere nur träumen können – diesem Mann nimmt man die Teufelsgestalt in jeder Sekunde ab. Eine Traumbesetzung.
Die hochklassigen DarstellerInnen-Leistungen werden gekrönt von einem in jeder Hinsicht überzeugenden Opernchor, dessen Präzision und Kraft beeinduckend sind, und dem Orchester, das den differenziert-abwechslungsreichen Klang des Werkes kaum besser zum Tönen bringen könnte. Enrique Mazzola hält das Ganze vom Dirigentenpult aus so gekonnt zusammen, dass es eine wahre Freude ist.
Fazit
Spannung, Liebe, eine tiefgehende und doch nicht verschreckende Inszenierung, großartige DarstellerInnen und ein Chor und Orchester, deren Performances unter dem herausragenden Dirigat einfach nur Spaß machen. Besser kann man „Les Contes d’Hoffmann“ wohl kaum auf die Bühne bringen.
Wertung: ✱✱✱✱✱✱✱✱✱✱
10 von 10 Sternen
Weitere Aufführung: 04., 08., 15. Dezember 2018 / 05., 09., 12. Januar 2019
Herzlichen Dank der Deutschen Oper Berlin für die Bereitstellung der Pressefotos.