„Mädchenmörder :: Brunke“
Text von Lothar Kittstein (RAUM+ZEIT)
Spielort: Staatstheater Braunschweig, Kleines Haus
Uraufführung am: 27.01.2024
Gesehen am: 28.01.2024
Spielzeit: ca. 90 Minuten
Regie: Bernhard Mikeska (RAUM+ZEIT)
Mitwirkende:
Thomas Brasch/Karl Brunke: Götz van Ooyen
Martha: Nina Wolf
Alma: Ana Yoffe
Die Mutter: Saskia Petzold
Der Vater: Klaus Meininger
Darum geht’s
Der Schriftsteller Thomas Brasch (1945-2001) liest aus seinem Werk „Mädchenmörder Brunke“. Er hat sich extrem in den Fall des jungen Mannes Karl Brunke eingearbeitet, der 1905 in Braunschweig zwei Mädchen auf Verlangen hin erschoss. Doch Brasch entgleitet die Wirklichkeit. Ist er noch er selbst oder wird er Stück für Stück zu Brunke? Wird ihn die intensive Beschäftigung mit dem Kriminalfall schlussendlich selbst zugrunde gehen lassen?
So ist’s gemacht
Virtual Reality im Theater. Das zieht Publikum an und so sind die ersten Vorstellungen von „Mädchenmörder :: Brunke“ bereits durchweg gut verkauft bis ausverkauft. Und tatsächlich zeigt sich das Theater an diesem Abend technisch von seiner besten Seite. Jeder Platz im Publikum ist ausgestattet mit einer VR-Brille, die technische Erklärung vor Stückbeginn ist gut verständlich, die Vorstellung verläuft ohne bedeutende technische Schwierigkeiten.
Bleibt die Frage: Passt die VR-Brille auch inhaltlich? Ja, das tut sie dank eines besonderen Inszenierungskniffs. Die Brille ergänzt die Bühnenrealität nicht, sondern sie ersetzt sie. Anders gesagt: Das Publikum bekommt in den Abschnitten, in denen es die Brille trägt, Videos zu sehen und sieht in dieser Zeit den eigentlichen Bühnenraum nicht. Diese Entscheidung ist deswegen prima, weil sich die Bühne so verwandeln kann, ohne dass die Menschen im Publikum dies mitbekommen. Brille runter, Bühne anders. Überraschung! Bei einem Stück, das sich mit Unsicherheiten in Wahrnehmung und Identität beschäftigt, ein gelungener Coup.
Wäre doch nur das Stück selbst ein zugänglicheres! Ohne Frage hat man mit einer VR-Inszenierung die Chance, auch weniger theateraffinere Menschen ins Theater zu locken. Dafür eignet sich nun aber genau dieses Stück denkbar wenig. Denn die Theatermacher Kittstein und Mikeska bringen hier Theater auf die Bühne, das schwer, streckenweise nervenstrapazierend und ziemlich unzugänglich ist. Um eine Geschichte zu erzählen, ist der Abend zu fragmentarisch, um verständlich zu sein, zu verkopft. Aktuelle Umweltdiskurse fließen ein, dabei sitzt man doch in einem Stück über einen Mordfall Anfang des 20. Jahrhunderts. True Crime? Fehlanzeige. Der reale Braunschweiger Stoff wird genutzt, um eben keine linear-spannende Erzählung zu liefern, sondern ein künstlerisch stark abstrahiertes Stück über die Fremdheit im Eigenen. Das ist legitim, aber schade, zeigen sich doch etliche Zuschauer:innen nach der Vorstellung schwer entnervt oder gar abgestoßen. Selbst wenn die technische Seite begeistert: Von einem weiteren Theaterbesuch in nächster Zeit wird dieser Abend die eine oder andere Person abhalten.
So wird gespielt
Klaus Meininger und Saskia Petzold spielen ihre Rollen als Vater der Mädchen und Mutter Brunkes überzeugend. Ana Yoffe und Nina Wolf geben sich als Mädchen wunderbar exzentrisch und erzeugen damit zuweilen eine greifbar gruselige Atmosphäre. Ein Ereignis ist an diesem Abend Götz van Ooyen, der sich mit jeder Faser in seine Rolle(n) vertieft und somit größmögliche Wirkung seines Spiels liefert.
Fazit
Begeisterung und Frust liegen selten so nah beieinander wie an diesem Abend: Die einen sind beeindruckt, die anderen völlig entnervt. In der Außenwirkung tut sich das Staatstheater mit diesem neuartigen VR-Versuch vermutlich insgesamt keinen Gefallen, funktioniert die Technik auch noch so reibungslos. Diesen kopflastigen Abend kann auch ein herausragender Darsteller wie Götz van Ooyen für einige im Publikum nicht mehr retten.
Wertung: ✱✱✱✱✱
5 von 10 Sternen!
Nächste Aufführungen am 1./4./8./15./18./23./28. Februar, 01. März, 13./21./28. April, 5. Mai, 8. Juni