„Wir müssen über das Sterben sprechen“
von Wenzel Winzer
Spielort: Deutsches Theater Göttingen, dt.2
Premiere am: 10.06.2023
gesehen am: 16.06.2023
Spielzeit: ca. 70 Minuten
Regie: Wenzel Winzer
Mitwirkende:
Marco Matthes, Volker Muthmann, Katharina Pittelkow, Gaia Vogel
Darum geht’s
Suizid und Sterbehilfe sind seit langem und immer noch hoch umstrittene Themen. Eine eindeutige Gesetzgebung zur Sterbehilfe gibt es in Deutschland bis heute nicht. Doch nicht nur politisch, auch ethisch-moralisch und medizinisch gibt es verschiedene Perspektiven auf das Thema. In seinem dokumentarischen Theaterstück greift Wenzel Winzer diese verschiedenen Perspektive auf.
So ist’s gemacht
Teile des Abends liefern einen Überblick: Welche Arten von Sterbehilfe gibt es, wie funktionieren sie? Was ist der rechtliche Rahmen? Welche historischen Entwicklungen haben zum Status Quo geführt? Abwechslungsreich werden alle vier Schauspieler*innen eingesetzt, um diese Zusammenhänge deutlich zu machen. Das Bühnenbild ist zudem wie geschaffen für die Darstellung von Prozessen. Eine Säulenlandschaft, fast antik anmutend, mit Rissen wie geschundene Seelen, bildet den Rahmen der Aufführung. Während des Stücks werden langsam, fast unmerklich, rote Tücher von der Decke heruntergelassen. Sie können beispielsweise für den Prozess des schleichenden Lebensendes stehen, sind aber auch bedeutungsoffen für individuelle Interpretation.
Am stärksten ist der Abend immer dann, wenn persönliche Schicksale zu Wort kommen. Schicksale, die mit fiktionalen Geschichten verbunden sind, so oder so ähnlich aber auch in der Realität existieren. Es sind diese Momente mit nur jeweils einem/r Darstellenden auf der Bühne, in denen die tatsächliche Tragweite der Entscheidung für oder gegen Sterbehilfe deutlich wird. Es ist sinnvoll, dass diese Momente nur punktuell eingesetzt sind, dennoch sind es sie, die am meisten im Gedächtnis bleiben.
So wird gespielt
Präzise aufeinander abgestimmt sind die vier Darsteller*innen des Abends. Allen vieren gehören gemeinsame Szenen, die auf den Punkt getimt gespielt werden. Allen gehören aber auch eigene Momente, in denen sie persönliche Schicksale referieren und damit glänzen können. In diesen Augenblicken ist zu spüren, was Schauspiel leisten und auslösen kann. Überhaupt gehen alle vier ohne Berührungsängste auf emotionale Tuchfühlung mit dem Publikum.
Fazit
Ein nachdenklich stimmender, emotionaler und dennoch nicht deprimierender Dokumentar-Theaterabend, der nur 70 Minuten läuft und doch lange nachzuhallen vermag. Langer Applaus des sichtlich beeindruckten Publikums.
Wertung: ✱✱✱✱✱✱✱✱✱✱
10 von 10 Sternen!
Nächste Aufführungen in der Spielzeit 2023/24.