„Zwei Herren von Real Madrid“
von Leo Meier
Spielort: Deutsches Theater Göttingen
Premiere am: 13.04.2024
Spielzeit: ca. 95 Minuten
Regie: Matthias Reichwald
Mitwirkende:
Katharina Pittelkow, Paul Trempnau, Leonard Wilhelm, Gerd Zinck
Darum geht’s
Treffen sich zwei Männer im Wald. Kein Witz. Beide interessieren sich füreinander. Beide stellen fest, dass sie für Real Madrid spielen. Bald feiern sie zusammen Weihnachten. Leider stirbt die Mutter des einen am selbstgemachten Bananenbrot des anderen. Die Trauerrednerin schreibt Gags für die Beerdigung. Sergio Ramos hat Kultururlaub gemacht und dabei die Endlichkeit seiner Existenz entdeckt. Der eine der beiden Männer vom Anfang wechselt den Verein. Keine Pointe.
So ist’s gemacht
Diese Handlung hat Sie skeptisch gemacht? Keine Sorge, es geht hier nicht um die Handlung im weiteren Sinne. Höchstens im engeren Sinne. Im Detail nämlich. Denn hier ist keine „Was-Spannung“ angesagt, hier kommt man mit einer „Wie-Spannung“ weiter. Wie nämlich Leo Meier seine Figuren gestaltet, wie sie sich ausdrücken, wie sie zueinanderstehen und mit der Unwahrscheinlichkeit des Lebens umgehen, darum geht es hier.
Das Stück läuft aktuell nicht nur in Göttingen, sondern auch am Schauspiel in Hannover. Dort deutet es Regisseur Ronny Jakubaschk als Utopie eines outingsoffenen Fußballs, mit Waldbildern, poppiger Musik und Kussszene genau da, wo ein Kuss im Dialog genannt wird. Vergleicht man die Hannoveraner mit der Göttinger Inszenierung, so stellt man allerdings fest, dass Jakubaschk, dessen glänzende Umsetzung von „Das Vermächtnis“ zuletzt das Publikum zu emotionalen Ausbrüchen hinriss, hier nicht das ganze Potential des Stücks ausschöpft, nicht so auf die Gefühlsebene geht, wie es möglich wäre, die Distanz zu den Figuren nicht aufzuheben vermag, unter anderem, weil sie in entscheidenden Szenen recht weit weg vom Publikum stehen.
Matthias Reichwald hingegen setzt in Göttingen auf Nähe – räumlich wie emotional. Die Bühne hat kaum Tiefe und noch weniger Höhe, die Ränge im großen Saal des Deutschen Theaters sind gesperrt. Kammerspielatmosphäre. Dazu Harfenmusik, fein verwobene Klänge. Und was ist das für ein Kontrast zwischen der stilisierten, kunstvollen Optik (weiß angemalte Gesichter, große Christbaumkugeln zu Weihnachten, eine große Diskokugel als funkelndes Hilfsmittel einer Pastorin bei Beerdigungen) und der Feinheit dessen, was in den Dialogen und Gesichtern vor sich geht! Da wird mit Worten höflich umeinander getänzelt. Die Liebenden siezen sich durchgehend voller Wärme füreinander. Kleine Aufmerksamkeiten werden gewertschätzt, die Tiefe des Lebens wird erkundet und ausgeleuchtet und plötzliche geistige Blackouts sofort entschuldigt. Und nach einer Eingewöhnungszeit, in der das Publikum erstmal warm werden muss mit dem, was es da sieht, wird dieser Bühnenraum dann doch wieder zu einer Utopie, einer Utopie der Zärtlichkeit, die im großen Kontrast steht und sich doch völlig einfügt in ein Bild der Skurrilität, das aber nie so überhand nimmt wie in der Hannoveraner Inszenierung, in der zu Weihnachten Peniskuchen serviert wird. Die Göttinger Fassung bewahrt sich immer das Schwanken zwischen Lachen und Rührung, zwischen Skurrilem und Emotionalem. Und entlockt schlussendlich so mancher Person im Publikum wohlige Seufzer.
So wird gespielt
Nicht möglich wäre diese Wirkung natürlich ohne die hervorragenden vier Schauspieler:innen, die den Abend bestreiten. Gerd Zinck vermag sich in entscheidenden Momenten zurückzunehmen, etwa um in seiner Rolle als Vater die Mutter die Herrin im Haus sein zu lassen, dann wieder groß aufzuspielen, wie zum Beispiel in seinem emotionalen Ausbruch als Sergio Ramos, der Szenenapplaus erhält. Katharina Pittelkow spielt vor allem kraftvolle Rollen, die sie nicht nur mit stimmlichem, sondern mit gesamtkörperlichem Einsatz mühelos wirken lässt. Leonard Wilhelm bringt mit vorsichtiger und etwas schüchtern-gestelzter Art seiner Figur genau die Höflichkeit, die feine Fäden im ganzen Stück zu spinnen vermag. Paul Trempnau spielt seinen Fußballer zu jeder Zeit so überzeugend in diesem verrückten Umfeld, dass man es völlig als normal annehmen kann. In den Gesichtern Trempnaus und Wilhelms die kleinen und großen Emotionen abzulesen, ist eine Freude, die allein schon das Vornesitzen lohnenswert macht.
Fazit
Diese Inszenierung ist ein wahrhaft unwahrscheinlicher Erfolg: Künstlerisch ein Wagnis, reißt sie das Premierenpublikum am Ende zu Begeisterungsstürmen hin. Man hat sich eingewöhnt und möchte diese stilisierte, sehr freundliche Welt nicht so schnell mehr verlassen. Von der Woge der Wärme, die ihnen aus dem Zuschauerraum entgegenschlägt, wirken selbst die Darsteller:innen überrascht.
Wer dieses Stück sehen will, sollte unbedingt nach Göttingen fahren.
Wertung: ✱✱✱✱✱✱✱✱✱
9 von 10 Sternen!
Nächste Aufführungen am 17./24. April, 4./13./31. Mai 2024