„Anfang und Ende des Anthropozäns“
von Philipp Löhle
Spielort: Deutsches Theater Göttingen
Premiere am: 24.02.2024
Gesehen am: 15.03.2024
Spielzeit: ca. 120 Minuten
Regie: Philipp Löhle
Mitwirkende, jeweils in mehreren Rollen:
Bastian Dulisch, Rebecca Klingenberg, Stella Maria Köb, Judith Strößenreuter, Paul Trampnau, Leonard Wilhelm
Darum geht’s
Die Wissenschaftlerin Swantje Plunder hat eine Idee entwickelt, die es in sich hat: Atommüll in den Weltraum zu schießen. Gesagt, getan, doch das Ganze geht schief und das Verstrahlte geht als Dauerregen auf die Erde nieder. Wie könnte unter diesen Zuständen die Zukunft der Menschheit noch aussehen? Und was hat das eigentlich mit der Vergangenheit zu tun? Ein Gedankenexperiment.
So ist’s gemacht
Bereits als das Publikum den Saal betritt, ist das Stück in vollem Gange, inklusive Musik und Dialogen. Warum das so ist, wird in der Gesamtschau des Abends klar, soll aber an dieser Stelle noch nicht verraten werden. Die zweite Auffälligkeit: Der Boden ist bedeckt mit rund ausgeschnittenen Papierschnipseln. Gleichzeitig fallen ebensolche stetig vom Himmel. Das kann nur der Atommüllregen sein. Und der bleibt über weite Strecken des Stückes bestehen, was allein schon sehenswert ist.
Das Kreativ-Team hat für die Aufführung ein Bühnenbild erschaffen, dass in der Lage ist, flexibel und reduziert zu sein und zugleich auch starke Bilder zu erzeugen. Ein Feuer aus Licht und Papier, ein Raketenstart und eine grüne Waldlandschaft sind nur drei der Situationen, die an diesem Abend auf die Bühne gezaubert werden. Die Aufführung behält optisch zu jeder Zeit ihre Würde und bietet viel Abwechslung für Auge und Ohr.
Doch alle Schaueffekte wären nichts ohne entsprechenden Inhalt. Und auch hier gelingt Philipp Löhle als Autor und Regisseur scheinbar mühelos der schwierige Spagat zwischen inhaltlicher Tiefe und leichter Unterhaltung. Man hat selten eine so kluge, dabei so witzige Dystopie erlebt wie beim Besuch dieses Stückes.
So wird gespielt
Veredelt wird die Inszenierung durch ihre starken Darsteller:innen: Stella Maria Köb und Leonard Wilhelm sind in dieser Saison neu ans Deutsche Theater gekommen und sind ein spürbarer weiterer Gewinn für das Ensemble. Wie inbrünstig und kraftvoll sich insbesondere Stella Maria Köb in ihre Rollen wirft, beeindruckt. Von Bastian Dulisch ist man solch starke Auftritte gewohnt und auch er vermag wieder zu begeistern, vor allem als John Allen Chau, dem Prototyp des abenteuerlustigen Amerikaners. Judith Strößenreuter bringt insbesondere die vermutete zukünftige Degeneration des menschlichen Verstandes so pointiert auf die Bühne, dass kaum ein Auge trocken bleibt. Rebecca Klingenberg vermag die innere Zerrissenheit der Swantje Plunder gekonnt darzustellen. Herausragend, auch in seiner Wandlungsfähigkeit, agiert an diesem Abend Paul Trempnau, der sowohl die Fassungslosigkeit des (dann klugen) Zukunftsnormalos als auch das Schattendasein des Weggefährten von Swantje Plunder, Talvo Tamm, formvollendet spielt.
Fazit
Starke Bilder, starke Themen und ganz viel Witz und Abwechslung: Unterhaltsamer kann man eine Dystopie wohl kaum schreiben, inszenieren und spielen. 120 Minuten, die sich trotz Pausenlosigkeit kein Stück zu lang anfühlen, führen zu einem Must-See aktuellen Theaterschaffens.
Wertung: ✱✱✱✱✱✱✱✱✱✱
10 von 10 Sternen!
Nächste Aufführungen am 19. März, 05./12./22. April 2024
Ich habe noch einige Filme im Kopf, die Dystopien zu diesen Themen sehr düster behandeln. Klimawandel, Leseverbot, Nahrungsmangel, … Es brauchte einige Zeit, bis mich die Komödie erreichte, dann aber kräftig. Ich freute mich über das phantasievolle Bühnenbild, die Komik in vielen Bewegungen, die Behandlung der Themen. Über eines denke ich immer noch nach: „Warum gibt es nicht ein einziges Wort für das Glitzern der Sonne auf der Meeresoberfläche?“