„Die Fledermaus“
Musik: Johann Strauss
Text: Karl Haffner & Richard Genee
Spielort: Staatstheater Kassel, Opernhaus
Premiere der Inszenierung am: 02.11.2013
gesehen am: 12.05.2014
Spielzeit: ca. 165 Minuten inkl. Pause
Regie: Volker Schmalöer
Abendbesetzung:
Musikalische Leitung: Patrik Ringborg
Gabiel von Eisenstein: Marian Pop
Rosalinde: Hulkar Sabirova
Gefängnisdirektor Frank: Tomasz Wija
Prinz Orlofsky: Belinda Williams
Alfred: Bassem Alkhouri
Dr. Falke: Hansung Yoo
Notar Blind: Jürgen Appel
Adele: LinLin Fan
Ida: Sabine Roppel
Frosch: Bernhard Modes
Tänzerinnen: Hanna Lee, Ko-Eun Park, Swarna Rautiainen
Tänzer: Jerimia Jerimia, Alexander Polupanow, Timothee Uehlinger
Rahmenbedingungen
Das im Verhältnis recht übersichtliche, ja fast lauschige Opernhaus des Staatstheaters Kassel wurde bei der Muttertagsvorstellung der Operette „Die Fledermaus“ nicht gerade an seine Grenzen gebracht: Viele Plätze, gerade in den hinteren und oberen Reihen, blieben leer. Dennoch entwickelte sich im Vorfeld der Aufführung hier und da ein gewisses Chaos, was unter anderem an der – nun ja – „interessanten“ Art des Einlasses lag. Karten wurden nicht wirklich kontrolliert, wer irgendetwas in der Hand hielt, das nach Karte aussah, wurde durchgewunken. Nun muss man wissen, dass sich das Opernhaus ein Gebäude mit dem Schauspielhaus Kassel teilt, die Eingänge zu beiden Spielstätten aber unterschiedlich sind. Zusammen mit den laxen Einlasskontrollen führte das dazu, dass im Zuschauerraum kleine Tumulte ausbrachen, weil einige ältere Herrschaften eigentlich das parallel im Schauspielhaus stattfindende Frühlingskonzert des Polizeichores Kassel besuchen wollten und nun erbost darüber waren, dass „ihre“ nummerierten Plätze bereits belegt waren. Nach Hilfestellungen des Theaterpersonals und Teilen des Publikums konnten sich die Irrläufer gerade noch rechtzeitig vor Beginn der Ouvertüre aus dem Saal retten – ob sie jemals im Schauspielhaus angekommen sind, steht in den Sternen. Später am Abend erzählte mir eine Frau, dass in der Pause ebenfalls einiges durcheinander gegangen sei, weil gleich mehrere ältere Damen irrtümlich das Herrenklo aufgesucht hätten. Verwirrung also nicht nur auf der Bühne, sondern auch allerorten beim – im Schnitt selbst für eine Oper(ette)ndarstellung auffällig betagten – Publikum…
Das Stück
„Die Fledermaus“ wird zur so genannten „Goldenen Ära der Wiener Operette“ (1860-1900) gezählt. Das Werk wurde 1874 im Theater an der Wien uraufgeführt und ist seit 1894 auch in Opernhäusern immer mal wieder auf dem Spielplan. Die Popularität des Stückes liegt zum einen sicherlich in ihrer Melodienseligkeit, die Ohrwürmer geradezu garantiert – beispielhaft dafür ist schon die Ouvertüre, die mit ihren abwechslungsreichen Tempi für jedes Orchester eine willkommene Herausforderung darstellt. Zum anderen steht „Die Fledermaus“ für alles, was eine Operette ausmacht: Eine skurrile Handlung aus den Kreisen des abgehalfterten Adels, echten Wiener Witz, etliche Dialogpassagen ohne Musik sowie ein unglaublich seichtes und schwungvolles Ende, das das Publikum mit einem Lächeln auf den Lippen in die Nacht entlassen soll – im Gegensatz zu den ernsten Ausprägungen der Oper sind hier am Ende eben nicht alle tot, sondern die Verwicklungen lösen sich auf und alle Beteiligten sind seltsam zufrieden, dafür, dass sie sich kurz zuvor allesamt belogen und betrogen haben. Vielleicht wirkt hier aber auch nur die Einsicht, dass sie eigentlich allesamt lasterhaft sind und sich so niemand im Recht fühlen darf.
Der Handlungsüberblick setzt bei der Vorgeschichte an: Baron von Eisenstein geht mit einem Freund, Dr. Falke, auf einen Kostümball. Nach einer durchzechten Nacht setzt Eisenstein den völlig besoffenen und als Fledermaus verkleideten Falke einfach auf dem Heimweg aus, sodass Falke am kommenden Morgen unter allgemeinem Hohn und Spott den Rest des Weges derangiert zu Fuß zurücklegen muss. Doch Falke sinnt auf Rache, und genau diese Rache ist Gegenstand dieser Operette. Die Handlung beginnt bei Baron Eisenstein und seiner Frau Rosalinde zu Hause. Der Baron soll eine achttägige Haftstrafe antreten, da er einem Staatsbeamten ein paar ordentliche Backpfeifen gegeben hat. Da kommt Falke und überredet ihn, das Gefängnis bis zum nächsten Morgen warten zu lassen und stattdessen am Abend gemeinsam auf einen Empfang des Prinzen Orlovsky zu gehen und Frauen aufzureißen. Eisenstein willigt allzu gern ein, tut gegenüber seiner Frau aber so, als ob er bereits jetzt ins Gefängnis aufbräche. Mitleid mit Rosalinde zu haben, wäre aber zu kurz gegriffen: Am Nachmittag ist ein alter Verehrer von ihr, Alfred, aufgetaucht. Rosalinde verspricht ihm ein Treffen am Abend und sorgt dafür, dass das Hausmädchen Adele, die wegen ihrer angeblich kranken Tante sowieso um einen freien Abend gebeten hat, aus dem Haus ist. Als Alfred und Rosalinde gerade intim werden, erscheint plötzlich Frank, der Gefängnisdirektor, der Baron von Eisenstein persönlich zum Haftantritt abholen will. Um ihre Ehre nicht zu beschmutzen, behauptet Rosalinde, Alfred sei ihr Ehemann. So wird Alfred ins Gefängnis gebracht. Auf dem Kostümfest angekommen amüsiert sich Eisenstein prächtig unter falschen Namen, er prahlt sogar einmal mehr mit der Fledermaus-Geschichte, nicht ahnend, dass die Rache dafür bereits unaufhaltsam im Gange ist. Die Ereignisse werden immer unübersichtlicher, als Rosalinde als maskierte Gräfin auf dem Fest auftaucht, sie hatte von Dr. Falke einen Tipp erhalten. Zu allem Überfluss befindet sich auch Adele auf der Feier, die auf einen von Falke fingierten Brief hereingefallen ist und für den freien Abend ihre Herrin belogen hat; außerdem ist Gefängnisdirektor Frank zugegegen, wie Eisenstein auch unter falschem Namen. Handlungslogisch ist es klar, dass es nicht lange dauern kann, bis Eisenstein beginnt, seine eigene Frau anzugraben – was im dritten Akt folgt, ist der kommende Morgen und mit ihm ein Kater, der sich bei einigen Beteiligten gewaschen hat…
Die Inszenierung
Für einen Video-Einblick in die Inszenierung bitte hier klicken.
Weiß sind die Gesichter der Agierenden an diesem Abend. Das Gesicht bis zur Unkenntlichkeit verpudert, die Haare wie schwarzes Plastik über den Kopf gezogen – in dieser vermeintlichen Adelswelt ist nichts wahrhaftig. Die völlig übertriebenen Kostüme und der kitschige Sternenhimmel, der beim Fest des Prinzen Orlovsky aufgemacht wird, passen da voll ins Bild. Und pudelig ist sie, die Inszenierung von Volker Schmalöer. Bereits in der hervorragend als Scherenschnitt inszenierten Ouvertüre laufen drei echte Pudel auf der Bühne herum, im ersten Akt ist die Wand des Hauses Eisenstein durch einen ausgestanzten Pudel gekennzeichnet, im zweiten und dritten Akt findet sich eine riesige Pudelstatue auf der Bühne. Der Pudel – ein Symbol für die Künstlichkeit, das Hochgezüchtete im Adel, der sich unter der Oberfläche dann aber eben doch eher tierisch verhält. Man muss allerdings reinkommen in das Gefühl, dass hier transportiert wird. Nach der berauschenden Ouvertüre, in der hier die Vorgeschichte präsentiert wird, zieht sich der erste Akt doch recht lang hin, die Affektiertheit der Bewegungen trifft nicht immer den Punkt, den sie treffen sollte. Je länger der Abend dauert, desto mehr ist man aber bereit, sich genau auf diese vorgezeigte Affektiertheit – besonders in Kombination mit einigen wirklich witzigen Szenen – einzulassen. Im dritten Akt dann: Szenenapplaus, wenn Gefängniswärter Frosch zur Feier des Tages ein Muttertagsgedicht aufsagt, Szenenapplaus, wenn er den schwedischen Dirigenten Ringborg einen Tag nach dem Finale des Eurovision Song Contests mit „Na, alter Schwede? Glückwunsch zum dritten Platz gestern!“ dreist von der Seite anlabert, Szenenapplaus, wenn Eisenstein mit eben demselben Bezug nach der Ankündigung, es stehe eine Frau vor der Tür, neugierig nachfragt, ob diese denn einen Bart habe. Die große Stärke der Inszenierung liegt darin, dass sie da, wo es muss, genau den richtigen Ton trifft, dass sie außerdem noch viel für‘s Auge bietet (kann ja auch nicht jede Operninszenierung von sich behaupten) und zuletzt darin, dass sie abstrahiert, ohne ratlos zu machen, zudem interpretatorisch konkretisiert, ohne sich dem Stück sklavisch anzubiedern. Eine gute Mischung!
Die Beteiligten
Chapeau für die musikalische Umsetzung des Abends: Patrik Ringborg führt sein Orchester stilsicher durch den langen Abend, bis auf ein paar kleinere tonale und rhythmische Unsauberkeiten der Bläser fällt hier nichts negativ auf. Im Gegenteil. Die gebotene Interpretation ist höchst lebendig, setzt klare musikalische Akzente, haut auch mal richtig auf die Pauke, wenn es sein muss. Gerade bei Operetten ist die Gefahr gegeben, alles mehr oder weniger mechanisch runterzuspielen, dieser Gefahr tritt Ringborg mit aller Deutlichkeit entgegen. Auch die sängerischen Leistungen überzeugen komplett, Hulkar Sabirova und Marian Pop geben musikalisch ein wunderbares Eisenstein-Paar ab und zeigen die besten Leistungen des Abends in diesem Bereich.
Warum „in diesem Bereich“? Wo Licht ist, da ist oft Schatten nicht weit, und der folgt in diesem Fall immer dann, wenn nicht gesungen wird. Natürlich ist es gerade für DarstellerInnen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, schwer, die vielen kleinen Spitzfindigkeiten und Witze des Stückes akkurat wiederzugeben, aber selbst unter Einbezug dieser Tatsache geben Hulkar Sabirova und teilweise auch Bassem Alkhouri als Alfred eine viel zu hölzerne Darstellung ab. Da stimmt wenig, weder in den Bewegungen, noch in der Sprache. Im Hinblick auf schauspielerische Aspekte ragt vor allem Tomasz Wija heraus, der mit herrlicher Mimik und wunderbarer körperlicher Treffsicherheit den Gefängnisdirektor mimt. Einen herrlich süßlichen Prinz Orlofski gibt Belinda Williams. Auch Bernhard Modes weiß als Gefängniswärter Frosch zu überzeugen und hat die Lacher des Publikums voll auf seiner Seite.
Das Problem der fehlenden Muttersprachlichkeit bei vielen DarstellerInnen führt uns weiter zu einer grundsätzlichen und heiß diskutierten Frage: Sollte man auch deutschsprachige Stücke übertiteln? Das Staatstheater Kassel fährt hier offensichtlich die gleiche Strategie wie die Staatsoper Hannover und sagt: Nein! Ich sage: Ja, sollte man! Denn wenn – wogegen ja grundsätzlich nichts einzuwenden ist – von den zehn HauptdarstellerInnen nur drei deutsche MuttersprachlerInnen zu sein scheinen, dann ist streckenweise einfach sehr wenig zu verstehen. Zumindest die gesungenen Passagen sollten aus genau diesem Grund eine Übertitelung erhalten. An das Publikum gerichtet ließe sich noch hinzufügen, dass eventuell manches leichter zu verstehen gewesen wäre, wenn man sich statt in der Oper zu Hause zum Kaffeekränzchen getroffen hätte. Auf diese Weise wären den anderen ZuschauerInnen Unterhaltungen in voller Lautstärke – besonders während der instrumentalen Passagen, aber auch sonst – erspart geblieben.
Fazit
Viel Licht und etwas Schatten – die bunte, lebendige und aufwändige Inszenierung sowie die mitreißenden musikalischen Leistungen lassen die „Fledermaus“ unter dem Dirigat von Generalmusikdirektor Patrik Ringborg zu einem empfehlenswerten Abend avancieren.
Wertung: ✱ ✱ ✱ ✱ ✱ ✱ ✱ ✱
8 von 10 Sternen!
Herzlichen Dank dem Staatstheater Kassel für die Erlaubnis zur Einbettung der Fotos.