„La Juive“
Musik: Fromental Halevy
Text: Eugene Sribe
Spielort: Staatsoper Hannover
Premiere der Inszenierung am: 14.09.2019
gesehen am: 27.09.2019
Spielzeit: ca. 210 Minuten inkl. Pause
Regie: Lydia Steier
Abendbesetzung:
Musikalische Leitung: Valtteri Rauhalammi
Rachel: Hailey Clark
Eleazar: Roy Cornelius Smith
Prinz Leopold: Matthew Newlin
Prinzessin Eudoxie: Mercedes Arcuri
Kardinal Brogni: Shavleg Armasi
Ruggiero: Pavel Chervinsky
Albert: Yannick Spanier
Darum geht‘s
Der jüdische Goldschmied Eleazar und seine Tochter Rachel sind gesellschaftlichem Druck ausgesetzt. Sie werden ausgegrenzt und angefeindet, andererseits hat sich Eleazar auch eine große Distanz und Härte anderen gegenüber als Schutzpanzer angeeignet. Nur weil sich Eleazar und der Kardinal Brogni von früher kennen, entgehen Eleazar und Rachel zu Beginn der Handlung einer Verurteilung. Skandalöse Verwicklungen nehmen ihren Lauf, als sich ein Prinz, Leopold, als Jude ausgibt und mit Rachel anbandelt. Bald geht es für Rachel und ihren Vater um Leben und Tod…
So ist’s gemacht
Die erste Inszenierung unter der neuen Opernintendantin Laura Berman setzt ein echtes Ausrufezeichen. Nicht nur ist diese Oper lang und benötigt viel Personal auf der Bühne, sie wird auch noch monumental umgesetzt. Das beeindruckend flexibel einsetzbare Bühnenbild von Momme Hinrichs besteht aus einer großflächigen, hohen Wand mit herausnehmbaren Bühnenteilen. Hinzu kommt, dass die neue, große Drehbühne der Staatsoper mehrfach zum Einsatz kommt. Zu einem visuellen Spektakel lassen das herausragende Lichtkonzept und atmosphärisch klug eingesetzte Videos in Zusammenspiel mit hunderten Kostümen und Perücken diese Inszenierung werden.
Die grandiose Vielfalt, die dafür sorgt, dass der Opernabend trotz seiner langen Dauer nie langweilig wird, ist insbesondere im Regiekonzept begründet: Lydia Steier lässt die Oper nicht in einer bestimmten Zeit spielen, sondern lädt zu einer Zeitreise von den 1950er-Jahren bis zurück ins 15. Jahrhundert ein. Jeder der insgesamt fünf Akte bekommt so seine ganz eigene Atmosphäre, die durch gezielt eingesetzte Stilisierungen noch einmal zugespitzt wird. Deutlich wird hierdurch nicht nur die erschreckende Zeitlosigkeit des Antisemitismus, sondern auch die Zeitlosigkeit der Opernhandlung im Allgemeinen mit ihren Liebes- und Machtgeschichten. Dass im letzten Akt die Zeiten deutlich vermischt werden, ist ein wenig zu viel der Plakativität, trübt das stimmige und äußerst positive Gesamtbild jedoch kaum.
Das besonders Lobenswerte an dieser Inszenierung ist aber, dass sie nicht nur visuell umwerfend und unterhaltsam ist, sondern zugleich auch inhaltliche Tiefe bildet. In Details werden Grausamkeiten deutlich, in die äußerst farbenfrohen Bilder mischen sich Elemente schauriger Realismen. Hervorzuheben ist in dieser Hinsicht das Leitmotiv zweier Kinder, das sich durch den gesamten Abend zieht.
So wird gespielt
Die wuchtige Inszenierung spiegelt sich im Orchestergraben: Valtteri Rauhalammi gelingt es mit dem Staatsorchester, die gesamte Palette der Emotionen gekonnt zu bespielen. Ein breiter Klangteppich strömt aus dem Orchestergraben, Grausamkeit und Feinfühliges werden akustisch untermalt, unterstrichen, herausgehoben. Bis auf kleinere Unsauberkeiten der Blechbläser eine herausragende Performance des Opernorchesters. Und auch der Chor meistert seine Aufgaben erstklassig.
Und dann die SolistInnen: Shavleg Armasi, dem Hannoverschen Publikum aus vielen Inszenierungen der vergangenen Jahre bekannt, verleiht dem Kardinal Würde, Kraft und zugleich auch Melancholie. Mercedes Arcuri singt als Prinzessin Eudoxie nicht nur schön, sondern bringt ihre Figur auch mit großer Spielfreude auf die Bühne. Matthew Newlin ist als junger Tenor mit angenehmer Stimmfarbe und starken Spitzentönen ein idealer Leopold. Roy Cornelius Smith ist in der Aufführung kurzfristig für den erkrankten Zoran Todorovich eingesprungen und erhält dafür am Ende begeisterten Applaus von allen vor und auf der Bühne. Es ist eine mehr als respektable Leistung, spontan eine fünfaktige, schwer zu singende Hauptrolle zu übernehmen und dann mit einiger Unterstützung durch die Souffleuse Karin Seinsche auch so gut durchzuhalten. Zwar scheint Smith an einigen Stellen Ausdrucks- mit Lautstärke zu verwechseln, insgesamt jedoch macht er die Hartnäckigkeit, aber auch die Verletzlichkeit des Eleazar spürbar. Sein „Rachel, quand du Seigneur“ ist ein Ereignis.
Last but not least: Hailey Clark. Die Sopranistin zeigt an diesem Abend alles, was es für die Darstellung der Rachel braucht: Emotion, Stimmstärke, Timing. Von Strahlkraft bis Verletzlichkeit, von Gebrochenheit bis großer Entschlossenheit reicht ihre Spanne. Atemberaubend!
Fazit
Die Oper Hannover scheint sich anzuschicken, mit den ganz großen Häusern Mitteleuropas mithalten zu wollen. Mit dieser monumental und doch feinfühlig inszenierten „La Juive“ gelingt dies auf ganzer Linie. In jeder Hinsicht ein großer Opernabend!
Wertung: ✱✱✱✱✱✱✱✱✱✱
10 von 10 Sternen!
Weitere Vorstellungen am 03., 06., 08., 12., 31. Oktober 2019.